Gebärparese bei Milchkühen

Die Gebärparese, auch Hypocalcämie oder „Milchfieber“ genannt, gehört zu den bedeutendsten Stoffwechselerkrankungen der Milchkühe weltweit. Ursache ist ein unter der Geburt bzw. zu Laktationsbeginn entstehender Calciummangel im Blut. Betroffen sind überwiegend multipare Kühe, Kühe mit hoher Milchleistung und Kühe, die in einer vorhergehenden Laktation schon einmal an Milchfieber erkrankt waren.

Calciumstoffwechsel der Kuh

Physiologie des Calciumstoffwechsels

Calcium ist im Stoffwechsel wichtig zur Freisetzung von Acetylcholin an neuromuskulären Membranen. Auch die Motorik der glatten Muskulatur, insbesondere von Pansen, Herz und Zwerchfell ist von Calcium abhängig und somit werden Speichelproduktion, Fresslust, Bewegungsfähigkeit und Aufmerksamkeit bei Hypocalcämie ebenfalls beeinträchtigt.

Zur Kalbung werden einerseits große Mengen an Calcium für die einsetzende Laktation benötigt und andererseits steigt der Energiebedarf der Kuh stark an. Da diese Adaptationsvorgänge sowohl zum Ausgleich des Calciummangels, als auch zum Ausgleich der negativen Energiebilanz mehrere Tage benötigen, bleibt die Calcium- und Energiebilanz während der ersten Tage der Laktation stets negativ. Da die benötigte Calciummenge im Blut nicht verfügbar ist, muss der Ausgleich durch eine Freisetzung von Calcium aus den Knochen erreicht werden.

Reguliert wird die Calciumfreisetzung aus den Knochen durch das aus der Nebenschilddrüse stammende Parathormon, dessen Sekretion durch die Konzentration des Calciums im Blut gesteuert wird. Eine Hypocalcämie führt entsprechend zu einer vermehrten Sekretion von Parathormon aus der Nebenschilddrüse.

Calciumbedarf der Kuh

Während der Trockenstehperiode benötigt die Kuh wenig Calcium und kann ihren Bedarf komplett durch passive Absorption aus dem Darminhalt decken, eventuell sogar Calcium in die Knochen einlagern. Am Ende der Trockenstehperiode ändert sich die Stoffwechsellage von einer Ruhephase in eine Hochleistungsphase. Mit dem Einschießen der Milch ändert sich der Bedarf an Calcium im Stoffwechsel schlagartig, da viel Calcium mit der Milch abgegeben wird, sodass alle Calciumreserven mobilisiert werden müssen. Das heißt, die Calciumfreisetzung aus den Knochen und die Calciumresorption aus dem Darm muss angekurbelt werden.

Da dieser Prozess, wie oben beschrieben, eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, muss mit einer Art „Vorlaufzeit“ kalkuliert werden. Das kann erreicht werden, indem die Kühe im letzten Trächtigkeitsmonat mit calciumarmem Futter versorgt werden. So wird die Mobilisation von Calcium aus den Knochen und die Resorption von Calcium aus dem Darm früh genug gesteigert.

Einfluss anderer Ionen und der Kationen/Anionen

Zusätzlich sind das Kationen/Anionen-Verhältnis des Futters und der Kaliumgehalt im Futter wichtige Faktoren bei der Entstehung einer Gebärparese. Eine kaliumreiche Fütterung hemmt die Magnesiumresorption im Pansen, was über eine Reduktion der Parathormonsekretion zur Beeinflussung des Calciumstoffwechsels führt. Bei geringem Magnesium-Serumspiegel werden unter anderem Parathormon und Calcitriol, die bedeutendste metabolisch aktive Form von Vitamin D, vermehrt freigesetzt. Kaliumreiche Fütterung und Magnesiummangel sind deshalb weitere prädisponierende Faktoren für die Entstehung von Milchfieber.

Kalium und Natrium stellen die wichtigsten Kationen im Futter der Kühe dar und machen das Futter alkalisch. Ein Überschuss an Kationen führt zu einem Anstieg des pH-Wertes im Blut und somit zu einer Reduzierung der Calciummobilisation aus den Knochen und der Calciumresorption aus dem Darm. Futter mit einem Anionenüberschuss senkt entsprechend den pH-Wert im Blut und fördert die Calciummobilisation und –resorption.

Im Körper wird Calcium unter anderem in der Muskulatur benötigt. Eine Hypocalcämie führt folglich zur Beeinträchtigung des Muskelstoffwechsels. Oft ist auch eine Hypophosphatämie festzustellen, deren Rolle im postpartalen Stoffwechselgeschehen noch nicht vollständig geklärt ist. Die Erniedrigung des intrazellulären Phosphatgehaltes hat Störungen des Zellstoffwechsels und des Muskelstoffwechsels (Muskelschwäche, Paresen) zur Folge. Auch eine Verringerung des Schlagvolumens des Herzens kann auftreten. Vorbeugend ist auch auf ausreichende Versorgung mit Phosphat und Vitamin D während der Trockenstehperiode zu achten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Calcium/Phosphor-Verhältnis im Futter, es sollte sich bei ca. 1,5 (also 2:1) befinden.

Klinischer Verlauf

Die klinischen Erscheinungen verlaufen in 3 Phasen: In Phase 1 kommt es zu unspezifischen Symptomen wie z. B. Hyperästhesie, Tetanie, Trippeln, Sägebockartigem Stand, Bewegungsunlust, Nervosität, Tachykardie und leicht erhöhter Temperatur. In Phase 2 kommt es zum Festliegen in Brustlage, trockenem Flotzmaul, seitlichem Einschlagen des Kopfes (auto-auskultatorische Haltung), Nystagmus, kühler Körperoberfläche, Tachycardie, leichter Tympanie und Kotanschoppung in der Rektumampulle. In Phase 3 kommt es schließlich zum Festliegen in Seitenlage, zur zunehmenden Trübung des Bewusstseins bis hin zum Koma, zur deutlichen Tympanie, zur röchelnden Atmung, zur Abflachung der Pulsfrequenz und letztlich zum Tod.

Hypocalcämie stellt eine Prädisposition für andere Krankheitsgeschehen dar. Es treten vermehrt Nachgeburtsverhalten, Azetonämie und Labmagenverlagerung auf, sodass Betriebe, bei denen vermehrt diese Problematiken beobachtet werden, auch Prophylaxemaßnahmen gegen Milchfieber durchführen sollten.

Prophylaxe

Saure Salze

Durch die Zugabe saurer Salze zum Futter wird der pH-Wert der Ration gesenkt. Allerdings muss die Akzeptanz der Futterrationen durch die Kühe aufgrund des schlechten Geschmackes der Salze stets kontrolliert werden. Außerdem dürfen saure Salze prinzipiell nur in den letzten zwei bis drei Wochen vor dem Abkalben und nur bis zum Zeitpunkt der Geburt verfüttert werden. Der niedrigere pH-Wert soll die Parathormonwirkung auf den Knochenstoffwechsel steigern. Die Wirkung der sauren Salze sollte entsprechend durch Urinproben per Netto-Säuren-Basen-Ausscheidung (NSBA) überwacht werden. Als Kontrollgröße wird ein Harn-pH von 6,5 angestrebt.

Vitamin D

Eine weitere Möglichkeit, den Mineralstoffwechsel der Kuh zu aktivieren, ist die Gabe von Vitamin D, das eine zentrale Rolle im Calcium- und Phosphatstoffwechsel einnimmt. Durch eine Vitamin D-Substitution etwa 7 Tage vor dem Abkalben wird die Resorption von Calcium aus dem Darm erhöht. Allerdings setzt eine Vitamin D-Substitution die genaue Berechnung des Geburtstermins voraus, was nicht immer möglich ist und eine Wiederholung der Verabreichung ist nur einmal möglich. Ein weiterer Nachteil ist, dass Vitamin D bei wiederholter Anwendung zur Gewebeverkalkung führen kann.

Calcium

Eine orale Calciumgabe um den Geburtszeitpunkt ist eine weitere sinnvolle Prophylaxe der Hypocalcämie. Allerdings ist hier besonders auf die Wahl der richtigen Formulierung zu achten, da einige Präparate zu starken lokalen Reizungen im Bereich der Haube führen können. Schleimhautschonende Calciumformiatverbindungen sind aus diesem Grund den reizenden Calciumchloridverbindungen vorzuziehen. Flüssige Präparate haben gegenüber Boli den Vorteil, dass sie sich rasch gleichmäßig verteilen, was ihre Resorption fördert. Die Verabreichung sollte bei ersten Geburtsanzeichen beginnen und dann in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.

Dabei ist darauf zu achten, dass die Tiere sich nicht verschlucken, um keine Aspirationspneumonie auszulösen.

Therapie

Kommt es trotz vorbeugender Maßnahmen zum Festliegen der Kuh, muss der Calciumspiegel im Blut so schnell wie möglich erhöht werden. Als Mittel der Wahl ist hierbei die Infusionstherapie anzusehen. Dabei sollte eine intravenöse Infusion von Ca-Salzen, vorzugsweise Ca-Glukonat oder Ca-/Mg-Aspartat erfolgen. Die Infusionsrate sollte nach Wirkung und unter strenger Herzkontrolle eingestellt werden und die Infusionsdauer mindestens 10 Minuten betragen. Die erwünschte Reaktion festliegender Kühe auf eine Ca-Infusion ist ein Sinken der Herzfrequenz, eine steigernde Aufmerksamkeit, Kotabsatz, Harnabsatz, Ruktus und Feuchtwerden des Flotzmauls. Selten kann es aber auch trotz ständiger Herz-Kreislauf-Kontrolle zu plötzlichen Todesfällen kommen.